Fußfessel ab und weg

Mädchenmörder in Niederlanden aufgespürt

Nach drei Tagen auf der Flucht hat die Polizei in den Niederlanden einen Mann aus Deutschland gefasst. Der verurteilte Mörder Ralf H. hatte sich am Dienstag von seiner Fußfessel befreit.

Der Angeklagte verbirgt auf der Anklagebank im Landgericht sein Gesicht hinter einer Gesichtsmaske, einer Brille und unter einer Kapuze.

Münster/Enschede (dpa) – Der rechtskräftig verurteilte Mörder Ralf H. ist in der vergangenen Nacht in den Niederlanden gefasst worden. Nach Angaben der Polizei Münster und der Staatsanwaltschaft Dortmund wurde er in Enschede in einer Wohnung festgenommen. Bei ihm war nach Angaben einer Polizeisprecherin auch seine Lebensgefährtin. Der 56-Jährige war am Dienstagabend von seinem Wohnort Münster geflüchtet, nachdem er sich von einer gerichtlich angeordneten Fußfessel befreit hatte.

Die Ermittler hatten das Duo mit Hilfe von Zielfahndern des Landeskriminalamts gefunden. Die niederländische Polizei nahm den Flüchtigen fest. Zwei auf seine 54-jährige Verlobte zugelassene Autos wurden in der Nähe der Wohnung gefunden.

Verräterische Fußfessel 
Laut Polizei hatte die Auswertung der Daten der elektronischen Fußfessel Hinweise auf Enschede gebracht. Demnach hatte sich Ralf H. in der Vergangenheit öfter in der Wohnung rund 70 Kilometer entfernt von Münster aufgehalten. Enschede liegt nordwestlich von Münster kurz hinter der deutsch-niederländischen Grenze.

Elektronische Fußfessel

Der 56-Jährige war im Januar dieses Jahres 27 Jahre nach dem gewaltsamen Tod der damals 16-jährigen Nicole Schalla vom Landgericht Dortmund zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er hatte die Schülerin 1993 in einem Dortmunder Vorort überfallen und erwürgt – aus sexuellen Motiven.

Fehleinschätzung: Keine Fluchtgefahr 
2018 war Ralf H. nach einer Neuauswertung von DNA-Spuren festgenommen worden. Dabei ging es um eine Hautschuppe, die auf der Leiche der Schülerin gefunden worden war. Ein erster Prozess war wegen einer kranken Richterin geplatzt. Nach dem Urteil hatte das Oberlandesgericht Hamm entschieden, dass der Verurteilte aus der überlangen Untersuchungshaft bis zu einem rechtskräftigen Urteil entlassen werden musste. Aus Sicht des OLG hatte sich das Landgericht zwischen den beiden Prozessen zu viel Zeit gelassen. Das OLG sah keine Fluchtgefahr. Auf Antrag der Polizei in Münster hatte das Amtsgericht Münster im April 2021 das Tragen einer Fußfessel für den Deutschen mit Wohnsitz in Münster angeordnet.

Wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, wurde das Urteil nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshof vor wenigen Tagen rechtskräftig. Am Dienstag war die Staatsanwaltschaft darüber informiert worden. Daraufhin wollte sie die Haft vollstrecken lassen.

Vor Verhaftung abgehauen  
Nach Polizeiangaben hat der 56-Jährige am Dienstagabend um 20.10 Uhr in Münster seine Fußfessel abgelegt und sein Handy zurückgelassen. Im Fahndungsaufruf heißt es: «Die Bevölkerung wird um Mithilfe bei der Suche nach dem Flüchtigen gebeten.»

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen wurde das mutmaßliche Fluchtfahrzeug des Verdächtigen und seiner Lebensgefährtin im gesamten Schengenraum zur Fahndung ausgeschrieben. Auch gegen die Frau wurde Haftbefehl erlassen wegen Beihilfe. Sie soll ihrem Lebensgefährten bei der Flucht geholfen haben. Hörstemeier ist vermutlich mit einem der beiden Autos seiner Lebensgefährtin unterwegs. Beide Autos sind blaue C-Klasse-Wagen von Mercedes-Benz mit nahezu identischen Münsteraner Kennzeichen.

«Rechtlich möglich, aber falsch» 
Anwältin Arabella Pooth, die Nicole Schallas Eltern als Nebenkläger vor Gericht vertreten hatte, sagte der dpa: «Es war klar, dass der Mann sich seiner Haftstrafe nicht stellen würde.» Dass er seinerzeit nach dem Prozess zunächst auf freiem Fuß geblieben war, sei rechtlich zwar möglich gewesen, aber aus ihrer Sicht falsch. Dass der Mann nun verschwand, war für die Eltern des Opfers «eine Katastrophe» und nicht zu begreifen.

Sein Verteidiger Udo Vetter bestätigte, dass auch er die Entscheidung des Bundesgerichtshofs erhalten habe. Mehr wisse er derzeit nicht. Im Prozess hatte der Anwalt stets auf die schwachen Indizien hingewiesen. Der Gerechtigkeit sei nicht genüge getan, wenn jemand verurteilt werde. «Es muss auch der Richtige verurteilt werden», so Vetter.

Fotos:
Fußfessel (Vergleichsfoto):  Susann Prautsch / dpa   (Bildbearbeitung: e110)
Anklagebank:  Bernd Thissen / dpa

24.12.21 wel