(XY-Gelöst vom 6. März 2024)
Eine Frau wird in ihrer Wohnung Opfer eines blutigen Sexualverbrechens. Die Polizei findet DNA des Täters und startet eine große Reihenuntersuchung – ohne Erfolg. Trotzdem wird der Fall gelöst – auf sehr überraschende Weise.
Heidrun Michel (Name geändert) ist leitende Angestellte in einem Mobilfunk-Unternehmen. Sie lebt allein in der Erdgeschosswohnung eines Mehrfamilienhauses in der Nähe von München.
Schreckliche Entdeckung
Als ihr Vater sie besuchen will, öffnet sie nicht. Da er ebenfalls einen Schlüssel besitzt, betritt er die Wohnung. Er findet seine Tochter tot in der Badewanne. Sie wurde mit einem Elektroschocker angegriffen, im Wohnzimmer ermordet und dann in die Badewanne gelegt.
Die Obduktion ergibt: Heidrun Michel ist Opfer eines Sexualdelikts geworden. An der Leiche kann DNA des Täters sichergestellt werden. Doch nach wem soll die Polizei suchen?
Ist der Täter ein Spanner?
Die Erdgeschosswohnung von Heidrun Michel ist von außen gut einsehbar. Außerdem hat ein Nachbarsjunge in einer Nacht kurz vor ihrem Tod einen Mann beobachtet, der um das Haus schlich. Ist der Täter ein Spanner, der zum Mörder wurde?
Diese Theorie wird auch bei der Operativen Fallanalyse zu dem Verbrechen in Betracht gezogen. Die Ermittler entschließen sich zur Durchführung einer DNA-Reihenuntersuchung sowie einer Fragebogen-Aktion in der Wohnsiedlung.
Alarmierende Ergebnisse
Durch die Fragebogen erfährt die Polizei, dass bei Frauen aus der Nachbarschaft der Ermordeten immer wieder anonyme Anrufe eingegangen sind. Auch wurden aus Trockenräumen mehrfach Wäschestücke entwendet. Die Vermutung scheint sich zu bestätigten, dass sich der Täter regelmäßig in der Gegend aufhält.
Das Ergebnis der DNA-Reihenuntersuchung ist allerdings ernüchternd: Die Proben von rund 1.500 Männern aus der Wohnsiedlung und 3.500 Männern aus der weiteren Umgebung sind allesamt negativ.
Die ersehnte heiße Spur
Vierzehn Monate nach der Tat meldet sich eine junge Frau bei der Polizei in München. Sie berichtet, in ihrer Wohnung eine Videokassette gefunden zu haben. Auf den Bildern sei zu sehen gewesen, wie ihr Freund sich an einer leblos auf dem Fußboden liegenden Frau vergeht und dabei selbst filmt. Der Lebensgefährte hat das Video jedoch inzwischen vernichtet.
Die Beschreibung der Wohnung lässt für die Kripo nur einen Schluss zu: Bei der Toten auf dem Video muss es sich um Heidrun Michel handeln. Noch in derselben Nacht wird der Tatverdächtige festgenommen.
Schockierende Internet-Seite
Der DNA-Abgleich bestätigt, dass er der Gesuchte ist. Weitere Ermittlungen ergeben, dass er tatsächlich als Spanner unterwegs war. Dabei hat er neben Heidrun Michel auch viele andere Frauen beobachtet. Bei der Untersuchung seines Computers entdeckt die Polizei Schockierendes.
Die Ermittler finden darauf den Entwurf für eine Internetseite mit dem Titel „NBK“ für „Natural Born Killer“. In einer Dropdown-Liste sind unter den Positionen „Opfer 1“ bis „Opfer 3“ bereits Bilder der toten Heidrun Michel abgelegt. Viele weitere Positionen sind noch leer. Mit dieser Internetseite wollte der Täter sich offenbar in einschlägigen Kreisen selbst darstellen und zum Star werden.
Urteil: Zehn Jahre
Vor Gericht legt der junge Mann – zur Tatzeit 20 Jahre alt – ein Geständnis ab. Allerdings versichert er, den Mord als solchen nicht geplant zu haben. Es sollte nur so aussehen, als ob Heidrun Michel tot sei. Doch dann sei das Tatgeschehen außer Kontrolle geraten. Im November 2004 wird der Mann wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt – die Höchststrafe nach dem Jugendstrafrecht.
Gleichzeitig wird seine Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet. Somit ist eine automatische Entlassung nach Verbüßung der Freiheitsstrafe ausgeschlossen. Als er nach acht Jahren Haft seine vorzeitige Entlassung oder zumindest seine Verlegung in den normalen Strafvollzug beantragt und damit scheitert, nimmt er sich im Januar 2013 das Leben.
Kriminalpsychologin Lydia Benecke:
Menschen, die sexuelle Tötungsphantasien entwickeln, werden nicht zwangsläufig zu Mördern. Im Allgemeinen differenzieren sie zwischen ihrer Phantasie und der Realität, verfügen über eine funktionierende Gewissensinstanz und Impulskontrolle.
In diesem Fall war das anders. Der Täter wies eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit schizoiden, narzisstischen und dissozialen Anteilen auf. Er war gefühlskalt und fühlte sich im Kontext seiner Tat nicht schuldig.