Selb/Bayreuth (dpa). Früher, als die Grenze zum Ostblock gerade geöffnet worden war, hatte es der Zoll vor allem mit Menschen zu tun, die zu viel billigen Alkohol, Zigaretten oder gefälschte Markenartikel aus Tschechien nach Deutschland einführten. Jetzt kämpfen die Zollbeamten gegen eine wohl weitaus größere Gefahr. Gegen einen Stoff, der extrem schnell abhängig macht. Der nach einem Hochgefühl einen krassen Absturz folgen lässt. Der das Gehirn schädigt. Der Angstzustände auslöst.
Der Stoff heißt Crystal Meth, auch bekannt unter dem Namen Crystal Speed. Eine synthetische Droge. Der offizielle Name lautet N-Methylamphetamin. Etwa 2008 begann der verstärkte Schmuggel mit der Droge von Ost nach West, so sagt Matthias Dürr, der stellvertretender Chef des Zolls in Selb. Inzwischen wissen die Fahnder auf beiden Seiten der Grenze, dass der gefährliche Stoff in Drogenküchen in Tschechien hergestellt und auf den einschlägigen Märkten verkauft wird.
Konsumenten in ganz Deutschland
Aber es ist nicht so, dass Dealer und Abhängige ausschließlich aus der Region stammen. Im Gegenteil. Inzwischen wird der aus Tschechien nach Deutschland geschmuggelte Stoff vor allem in Großstädten wie Nürnberg, München oder Frankfurt verkauft und konsumiert. «Das ist kein regionales Problem», betont Michael Lochner vom Hauptzollamt Regensburg. Die Behörde ist zuständig für etwa 260 Grenzkilometer zwischen Tschechien und Bayern. Es gebe bundesweit ein Problem mit synthetischen Drogen, sagt auch der Bayreuther Suchtmediziner Roland Härtel-Petri.
Aber wenn Schmuggler aufgegriffen werden, dann meist direkt nach der Grenze. Zum Beispiel vom Selber Zoll. 31 Kollegen gehören zur Dienststelle. Heroin oder Kokain spiele beim Drogenschmuggel im Grenzgebiet kaum noch eine Rolle, sagt Dürr. Bis zu 98 Prozent der Drogenfunde seien Crystal Speed. Der Handel sei lukrativ, ergänzt Lochner: Ein Gramm werde für 25 bis 40 Euro in Tschechien eingekauft, in Frankfurt am Main beispielsweise werden bis zu 200 Euro dafür gezahlt. 2012 wurden laut bayerischem Innenministerium in dem Bundesland 14,3 kg Crystal sichergestellt. Das sind 22 Prozent mehr als noch 2011. Bis Anfang Dezember 2013 betrug die sichergestellte Crystal-Menge bereits mehr als 34 Kilogramm.
Maßnahmen beiderseits der Grenze
Die Staatsanwaltschaft Hof beantragt durchschnittlich einmal täglich einen Haftbefehl in Sachen Crystal. Die mutmaßlichen Täter kommen aus ganz Deutschland. Behördenchef Gerhard Schmitt sagt, bei den Festnahmen seien immer größere Mengen Crystal Meth im Spiel. Die Staatsanwaltschaften entlang der Grenze hätten inzwischen eine gemeinsame Linie und arbeiteten eng zusammen.
«Auch in Tschechien laufen erhebliche Ermittlungen», versichert Schmitt. Auch der Zoll sagt, die Zusammenarbeit klappe gut. Seit einigen Monaten gibt es bundesweit drei Sonderkommissionen «Crystal». Die Herstellung von Crystal Speed ist vergleichsweise einfach, die Produzenten müssen kein aufwendiges Chemielabor einrichten. «Es reicht eine Auflaufform», sagt Zoll-Experte Lochner.
Duchhalten, heißt die Devise
Die Droge putscht auf. «Egal, was Sie machen, es macht Ihnen Freude», schildert Härtel-Petri. Danach werde man depressiv, wisse aber, was hilft: Crystal Meth. Man könne nächtelang durchfeiern. Oder ohne Pause arbeiten. Crystal Meth entspreche deshalb auch einem Zeitgeistphänomen: Das Selbstwertgefühl steige, alles mache Spaß, Schmerzempfindung werde reduziert, man werde nicht müde, könne mehr Alkohol trinken, sei sexuell angeregt. «Es ist eine Sexdroge», sagt der Mediziner. Studien aus USA zeigten: Crystal-Konsumenten hätten vermehrt ungeschützten Geschlechtsverkehr, HIV- und Hepatitis-Infektionen seien höher als bei Heroinabhängigen.
Denn Crystal Meth schnupfen nicht nur exzessive Partygänger. Auch Menschen in eintönigen Berufen konsumieren die Droge, um Freude an ihrem Job zu finden. Dann gibt es die Workaholics, die Höchstleistungen im Job bringen müssen inklusive Überstunden und Freizeitverzicht und nur durchhalten, wenn sie sich mit illegalen Substanzen stimulieren. Immer häufiger beobachten auch Experten, dass junge Mütter zur Droge greifen, um den anstrengenden Alltag mit Kleinkind zu bewältigen. Den typischen Konsumenten gibt es demnach nicht.
20.01.2014 Ta