Waidhaus (dapd-bay). Die Phantasie eines Drogenschmugglers kennt Grenzen.“ Polizeihauptkommissar Martin Zehent hat in seiner Laufbahn schon viel gesehen. Er und seine Kollegen von der Inspektion Fahndung in Waidhaus in der Oberpfalz kontrollieren einen 30 Kilometer breiten Streifen entlang der bayerisch-tschechischen Grenze.
Praktisch täglich machen die Fahnder in Nord- und Ostbayern Drogenkuriere dingfest. Und dennoch scheint die Polizei einen Kampf auf verlorenem Posten zu führen.
Problem wächst weiter
Insbesondere der grenzüberschreitende Handel mit dem in Tschechien produzierten und unter dem Szenenamen „Crystal“ vertriebenen Aufputschmittel Methamfetamin grassiert. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.
Von 2010 auf 2011 ist die Zahl der von oberpfälzer Schleierfahndern gefassten Kuriere um 88 Prozent gestiegen, die Menge des dabei sichergestellten Methamfetamins wuchs in der gleichen Zeit sogar um mehr als 250 Prozent.
Insgesamt verzeichneten die Fahnder im vergangenen Jahr laut Statistik in der Oberpfalz mehr als 1.000 Rauschgiftdelikte nur in Grenznähe. Die ersten Zahlen aus dem Jahr 2012 lassen den Schluss zu, dass das Problem zumindest nicht kleiner wird.
Preisbewusst beim Drogeneinkauf
Eine Ursache für den zunehmenden grenzüberschreitenden Drogenhandel sehen Fachleute unter anderem in einem geänderten Verhalten der Süchtigen. Immer mehr Crystal-Konsumenten versorgen sich direkt in Tschechien. „Der kleine Konsument riskiert fünf Minuten Zittern an der Grenze, um sich günstig mit Stoff zu versorgen“, sagt Fahnder Zehent. Beim Dealer auf der deutschen Seite müssen Crystal-Konsumenten nach Schätzungen von Experten nämlich das Drei- bis Vierfache für die Droge bezahlen.
Die Konsumenten kommen nach Erkenntnissen der Polizei aus allen Teilen der Gesellschaft. „Das geht vom Hartz IV-Empfänger bis zum Unternehmer“, sagt Zehent. Crystal dient den Konsumenten dabei zu unterschiedlichsten Zwecken: Frauen nehmen die Droge, um schlank zu werden, junge Leute als Partydroge, gestresste Manager als Aufputschmittel.
Fachleute bezeichnen die Billigdroge Crystal ganz offen als Teufelszeug. Die körperliche Abhängigkeit trete bereits nach wenigen Konsumeinheiten ein. Der Missbrauch führe überdies sehr rasch zu irreparablen Schädigungen des Gehirns.
Problematische Gesetzeslage
Wie kann der grenzüberschreitende Drogenhandel gestoppt werden? Eine schnelle Lösung für das Problem sehen auch die Fahnder der Polizei nicht. „Der Weg ist lang und steinig“, prophezeit Polizeihauptkommissar Martin Zehent. Nach Erkenntnissen des Bayerischen Innenministeriums befindet sich im grenznahen Bereich der Tschechischen Republik mittlerweile die gesamte Wertschöpfungskette von der Grundstoffbeschaffung über die Produktion bis zum Verkauf von Crystal vorwiegend in der Hand vietnamesischer Tätergruppierungen.
Nicht nur die bayerische Polizei steht dem Problem deshalb machtlos gegenüber. Auch den tschechischen Fahndern sind vielfach die Hände gebunden. „Die Kollegen haben einfach Schwierigkeiten angesichts der Breite des Problems“, sagt der Chef der Polizeiinspektion Fahndung in Waidhaus, Michael Hämmer.
Zugleich erschwert die Rechtslage im Nachbarland eine effiziente Bekämpfung des Drogenschmuggels. Eine Schleierfahndung entlang der Grenze nach bayerischem Muster gibt es in Tschechien nicht. Auch unangekündigte Durchsuchungen auf den sogenannten Vietnamesen-Märkten, dem Hauptumschlagsplatz für Crystal, werden in Tschechien durch die geltenden Gesetze erschwert.
Herrmann sieht Ursache in Tschechien
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat das Problem erkannt. Er spricht von einer „Zumutung, dass wir innerhalb der Europäischen Union mit einer kompletten Drogenproduktion direkt vor der Haustür konfrontiert sind“. Der CSU-Politiker geißelt im dapd-Interview die seiner Meinung nach zu liberale Drogenpolitik in Tschechien. Die Tatsache, dass Drogenbesitz zum Eigenbedarf im Nachbarland erheblich erleichtert wurde, ist in den Augen des bayerischen Innenministers nämlich die Hauptursache für den schwunghaften, grenzüberschreitenden Handel mit illegalen Drogen.
Herrmann ist sich sicher: „Das Übel des Drogenhandels muss an der Wurzel gepackt werden, und die liegt eindeutig in Tschechien.“
19.08.2012 Ta
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