Hamburg (dapd). Alljährlich liefern sich Polizei und Randalierer im Zusammenhang mit dem Hamburger Schanzenfest rund um den bundesweit bekannten Autonomentreff Rote Flora Straßenschlachten. Dabei steht das links-alternative Fest im Schanzenviertel zu Unrecht als Synonym für die Krawalle, feiern doch Anwohner und Besucher seit 1988 stets friedlich miteinander. Erst mit Einbruch der Dunkelheit beginnt Jahr für Jahr die Randale. Mit politischem Protest hat sie aus Sicht von Beobachtern wenig zu tun.
Untrennbar mit den Krawallen verbunden ist die Rote Flora selbst. Die baufällige Immobilie im ehemaligen Flora-Theater (auch Alte Flora genannt) wird seit 1989 von der linksautonomen Szene besetzt gehalten. Zuvor hatten die Bewohner des Viertels erfolgreich gegen den Umbau zu einem Musicaltheater protestiert.
2001 verkaufte die Stadt das 1.770 Quadratmeter große Grundstück und das Gebäude an den Immobilienkaufmann Klausmartin Kretschmer. Der selbst ernannte Kulturinvestor zahlte Medienberichten zufolge 370.000 Mark für die Ruine. Ruhe kehrte indes nicht ein. Das alternative Kulturzentrum ist oftmals der geografische Ausgangspunkt für die Schanzenkrawalle. Zuletzt hieß es, Kretschmer wolle die umstrittene Immobilie verkaufen. Noch gehört sie ihm aber.
190 Verletzte und 320 Festnahmen seit 2004
Seit 2004 haben die Krawalle jeweils in der Nacht nach dem Fest zusammen mindestens 190 Verletzte gefordert, mehr als 320 Randalierer wurden festgenommen. Hinzu kommen unzählige Sachbeschädigungen, wobei sich die Gewalt insbesondere gegen Banken und Geschäfte sowie gegen die Einsatzkräfte richtet.
Eine neue Dimension erreichte die Randale 2009, als sich etwa 1.000 Autonome Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Während der sechsstündigen Auseinandersetzungen gingen Müllcontainer, Straßenbarrikaden und ein Streifenwagen in Flammen auf. Die Einsatzkräfte wurden mit Steinen, Flaschen und Molotow-Cocktails beworfen. Hamburgs Grüne forderten damals eine Überprüfung des Polizeieinsatzes. So habe das «demonstrative Aufstellen und ständige dichter Heranrücken» der Beamten viele Menschen verunsichert.
Weil das Fest im Juli 2009 nach Einschätzung der Veranstalter wegen des Polizeieinsatzes nicht beendet werden konnte, wurde es wenige Wochen später fortgesetzt. Dabei kam es erneut zu Ausschreitungen. Einigen Randalierern geht es nach Einschätzung von Beobachtern nicht mehr um Protest gegen Kapitalismus, Polizeigewalt oder staatliche Repression. Vielmehr gilt der Krawall als Ritual – angestachelt von eigens dafür angereisten Jugendlichen.
Starke Polizeipräsenz als neue Strategie
Zuletzt blieben befürchtete Ausschreitungen – die auch rund um den 1. Mai jahrelang üblich waren – aber aus. Hintergrund ist offenbar eine neue Polizeistrategie. Die Einsatzkräfte sind davon überzeugt, dass die Einrichtung eines Gefahrengebietes und eine starke polizeiliche Präsenz im Schanzenviertel Schlimmeres verhindert haben.
Auch haben sich viele Anwohner längst von den meist jugendlichen Randalierern distanziert. Im Mai 2010 schrieb sich ein alteingesessener Bewohner in einem öffentlichen Brief den Frust von der Seele und sprach damit Vielen aus dem Herzen: «Lieber anonymer Randalierer,(…) Du spielst Bürgerkrieg für Arme. ‚Das ist krass peinlich, Digger‘, um es in Deiner Sprache zu sagen. Wir Anwohner finden längst Feuer und Flamme für so viel Dummheit.(…) Und eines, lieber sinnloser Straßenkämpfer, wisse: Lange lassen wir Anwohner uns das nicht mehr bieten.»
16.08.2011 dv