Berlin (dapd). Im Internet sind immer mehr Kriminelle unterwegs. Im vergangenen Jahr wurden rund 60.000 Fälle von «Cybercrime» registriert – 19 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. In der Polizeilichen Kriminalstatistik tauchten 2010 sogar rund 250.000 Fälle auf, in denen das Internet als Tatwerkzeug genutzt wurde. Das geht aus einem Bericht des Bundeskriminalamts hervor, den der Präsident der Behörde, Jörg Ziercke, in Berlin vorstellte. Er beklagte, den Ermittlern seien vielfach die Hände gebunden, und forderte neue Befugnisse. Die Lage habe sich deutlich verschärft.
Durch die Verbrechen im Internet entstand 2010 ein Schaden von 61,5 Millionen Euro. Die Summe ist rasant nach oben geschnellt: Ein Jahr zuvor lag sie noch bei 36,9 Millionen Euro. Ermittler gehen von einem großen Dunkelfeld aus: Häufig merken Internetnutzer gar nicht, dass ihr Rechner mit einem Virus infiziert ist. Nach Schätzungen des Bundeskriminalamts liegt die Zahl der Fälle um 50 oder 60 Prozent höher als offiziell gemeldet.
Phishing ist der Favorit
Deutlich zugenommen hat das «Phishing», also der Versuch von Kriminellen, sich etwa beim Online-Banking in fremde Konten einzuschleusen und diese zu plündern. Im vergangenen Jahr wurden rund 5.300 solcher Fälle gezählt – ein Anstieg um mehr als 82 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Der Diebstahl digitaler Identitäten – also von Zugangsdaten bei E-Mail-Diensten, Online-Banking, Buchungssystemen oder sozialen Netzwerken – ist ein wachsendes Problem «Dieser Bereich boomt ungebrochen», sagte Ziercke. «Die Jagd nach der digitalen Identität ist in vollem Gange.» Die sozialen Netzwerke seien ein besonderer Schwachpunkt Dort würden vermehrt Viren und Schadprogramme verteilt – verdeckt als Nachrichten von Freunden. «Man wähnt sich dort fälschlicherweise in einem sicheren Raum», warnte Ziercke.
Auch die Angriffe durch sogenannte Botnetze nehmen zu. Dabei schleusen sich Unbekannte über Schadprogramme scharenweise in fremde Rechner ein, steuern sie aus der Ferne und feuern von dort aus massenhaft Anfragen an Server von Firmen oder Behörden, bis diese zusammenbrechen. Auch das BKA selbst wurde bereits Opfer solcher Attacken. In der Szene habe sich eine «neue Form des digitalen Widerstands» entwickelt, sagte Ziercke. Und Hunderttausende ahnungslose Internetnutzer würden auf diesem Weg zu Mitgliedern krimineller Banden gemacht.
70 Prozent der Angriffe nicht aufgeklärt
Die Sicherheitsbehörden könnten die Betroffenen jedoch nicht warnen, klagte der BKA-Präsident. Sie seien bislang nicht in der Lage, die IP-Adressen der Rechner zu identifizieren. Um zu wissen, wem welcher Computer gehört, müssten die Verkehrsdaten gespeichert werden. Ziercke spielte damit auf die Vorratsdatenspeicherung an –
ein Streitthema der Koalition, bei dem keine Lösung in Sicht ist. Ziercke mahnte, derzeit könnten 70 Prozent der Cyber-Angriffe wegen der Informationslücke nicht aufgeklärt werden.
Mit der zunehmenden Kriminalität wächst auch die Angst der Deutschen vor Online-Verbrechen. 85 Prozent der Internetnutzer fühlen sich mittlerweile von Kriminalität im Netz bedroht. 2010 waren es noch 75 Prozent gewesen. Das geht aus einer Studie des Branchenverbandes Bitkom hervor, die gemeinsam mit dem BKA-Bericht vorgestellt wurde. Sieben von zehn Nutzern haben bereits selbst schlechte Erfahrungen gemacht: Die meisten wurden Opfer von Virenangriffen. Allerdings sind auch viele Nutzer völlig ungeschützt im Internet unterwegs: 21 Prozent nutzen weder Virenschutz noch Firewall. Bitkom-Präsident Dieter Kempf sagte, die wichtigsten Mittel im Kampf gegen Cybercrime seien Aufklärung und Sensibilisierung der Nutzer.
01.07.2011 dv