Dortmund (Detlef Vetten). Elf Uhr, Signal Iduna Park. Christian Hockenjos, 47-jähriger Doktor. der Volkswirtschaftslehre und ein Mann der klaren Gedanken, beginnt den Arbeitstag entspannt. Vor seinem Stadion-Büro macht sich die Sonne in der Strobelallee breit. Ein paar Telefonate führt der Direktor Organisation von Borussia Dortmund mit den Mitarbeitern, mit denen er in den nächsten Stunden in ständigem Kontakt stehen wird. Vor allem sind da der Fan- und der Sicherheitsbeauftragte, die Leute vom Ticketing und vom Vermarktungspartner sowie diverse externe Dienstleister. „2.000 Menschen sind heute für den BVB im Einsatz, 600 davon als Ordner. Die haben das wunderbar im Griff – ich komme nur ins Spiel, wenn etwas außer der Reihe geschieht. Und heute sind wir im grünen Bereich.“
„Lasse mir das Spiel nicht vermiesen“
13 Uhr, Hauptbahnhof. Rolf Kesternich hat so viele Bundesligaspiele im Stadion gesehen wie kein anderer Fan in Deutschland. 1963 war das erste (Köln gewann am 31. August 4:0 gegen Karlsruhe), im vergangenen Jahr stand er zum 1500.en Mal auf der Tribüne. Mittlerweile sind schon wieder rund 50 Matches dazu gekommen.
Kesternich ist Mitglied bei Bayern und Bremen, er liebt die Kölner und die Schalker, er mag sie fast alle, die großen deutschen Fußballmannschaften. Dortmund? Nee, die mag er nicht. Zu teuer, die geben ihm nicht mal ‘ne Rentnerkarte aus. 60 Euro kostet ihn der Spaß gegen Hannover. Viel Asche für einen alten treuen Fan, ehrlich.
Der schmale Mann kennt sich aus in der Liga. Es gibt nichts, was er nicht gesehen hätte. Verwaiste Stadien nach dem großen Skandal. Stadien, in denen das Tor umgefallen ist. Fußballspiele im knöcheltiefen Schnee und auf Wasserflächen. Schlägereien zwischen den Ultras, bei denen es sehr blutig zugegangen ist. Dortmund ganz unten, Dortmund ganz oben…
Alles schon gehabt.
Aber er ist noch nie in ein Stadion gegangen, von dem es zwei Tage zuvor geheißen hatte, ein Bombenleger habe es bedroht.
Egal. Rolf Kesternich – wohnhaft in Köln-Mülheim, Keupstraße, sagt: „Ich habe keine Angst. Das heute Nachmittag lasse ich mir doch nicht von einem Verrückten vermiesen.“
Und reiht sich ein in die Scharen der Fußballpilger, die sich am Hauptbahnhof auf den Weg zur Arena machen.
„Etliche Kilo Chemie“
13.45 Uhr Borsigplatz. Ein paar Meter vor Rolf bahnen sich Tom und seine Crew den Weg. Tom ist der Richtige, eine Bresche durch Menschenmassen zu pflügen. Einsfünfundneunzig, hundertzehn Kilo, eine Stimme wie der Barbar Conan. Im Zug aus Mönchengladbach hat Tom schon das Abteil dominiert; er redet schneller als Jürgen Klopp – und weiß wohl genauso viel über Fußball wie der Trainer des BVB.
Also, der Tom hat auch gesagt, dass man sich wegen der Bomben keine Sorgen machen muss. Hat er beim Kölsch-Frühstück in der WAZ gelesen: Der Typ hat ’ne Klatsche. Er hat zwar wohl schon mal ’nen Drogerie-Discounter in Karlsruhe erpressen wollen. Hat aber auch nicht geklappt.
Wie stand es in der WAZ? Da hat der Vermieter, bei dem die Familie des Erpressers wohnt, gesagt: „Also, was da raus getragen worden ist! Etliche Kilo Chemie.“
Schwamm drüber! Jetzt ist Fußball. „Jetzt fegen wir Hannover vom Platz“, bellt Tom. „Prost!“
Prost! antworten die Kumpels und queren den Borsigplatz. Nicht mehr lang – dann wird hier gefeiert, bis allen schwarzgelb vor Augen ist. Wirklich keine Zeit, jetzt an Bomben zu denken.
15 Uhr. Christian Hockenjos zupft das prima geschneiderte braune Sakko zurecht, verabschiedet einen letzten Gesprächspartner und macht sich auf den Weg. Draußen scheint eine herrliche Sonne auf schwarzgelbe Fan-Massen. Ein Fußballtag, wie geschaffen fürs Feiern.
Jetzt geht Herr Hockenjos erstmal in die Arena und schaut zu, wie seine Borussia hoffentlich Meister wird. Dann geht der Puls der Mannes für die Sicherheit zum ersten Mal an diesem Tag auf 150. 90 Minuten lang.
17.05 Uhr. Gleich pfeift der Schiri ab. 4:1, nach einem Rückstand. Wer soll die Jungs eigentlich noch aufhalten? Tom hat keine Stimme mehr. Rolf hakt das Match ab – demnächst geht es zu Köln, da ist alles um die Hälfte billiger. Und Christian Hockenjos? Der macht Small Talk im VIP-Bereich. Alles super gelaufen – nicht einmal hat das Handy gefiept.
Nichts ist passiert. War ein guter Nachmittag.
03.04.2011 dv
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