Berlin (dv). Die alte Frau am Bruno-Taut-Ring beeilt sich. Jetzt, um sieben Uhr morgens, kann man es noch einigermaßen aushalten in dem kleinen Gärtchen. Bald wird es wieder so heiß sein, dass man die Wohnung nicht mehr verlassen kann. Also reißt sie die vertrockneten Bohnenstauden aus der krümeligen Erde und schimpft: „Die Dinger nerven.“
Gottseidank kann sie jetzt wieder unbesorgt im Garten werkeln. Sie hat ja fürchterlich Angst gehabt in den letzten Tagen. Als der unheimliche Killer noch nicht gefasst war. „Die Leute hier waren misstrauisch. Wir haben auf einmal Angst gehabt.“
Bruno-Taut-Weg in Berlin Britz, im Süden der Stadt. Vierstöckige Mietskasernen, abgewohnt und unansehnlich. Aber die Menschen kümmern sich darum, dass es nicht schlimmer wird. Sie pflegen die Rasenflächen, alles ist sauber und ruhig. Überall Bäume, ein kleiner Park, ein Friseur, ein paar übrig gebliebene Deutschlandfahnen.
Eine aparte Schwarzhaarige führt ihren zwergenwüchsigen Hund aus, steht mit einer Nachbarin auf dem Bürgersteig und unterhält sich über den Mörder, den sie endlich gefasst haben. Der soll verrückt sein, ist schon in der Klapse.
25 Jahre alt ist der Mann, der den Schrecken in den Bruno-Taut-Weg gebracht hat. Sein Vater lebt hier.
Die junge Frau hat ihn ein paarmal gesehen. Seltsam hat er sich verhalten, aber das heißt hier nichts. Es gibt hier so viele Menschen, die man trifft und gleich wieder vergisst. Und es gibt einige – da wechselt man lieber die Straßenseite, wenn sie einem entgegen kommen.
Wenn das Leben in Scherben ist
Das waren die drei Opfer nicht. Einer besaß eine Wohnung, der andere lebte zur Miete, der Dritte war obdachlos. Klar, sie haben getrunken, aber das ist nichts Ungewöhnliches hier in der Siedlung. Neben den „braven“ Berlinern, die zur Arbeit gehen, sich um eine Familie kümmern, ihre Kinder auf dem nahen Spielplatz beaufsichtigen, gibt es eben auch die Anderen: Die keiner mehr will, also leben sie auf Stütze. Die niemanden haben, Familie kaputt, Ehe in Scherben, allein in Berlin. Die zum Spielplatz gehen, weil dort die Bänke bequem sind und man das Billig-Bier ungestört litern kann.
Zu diesen Männern, für die Britz die Endstation ihres Lebens ist, gehörten auch die drei Opfer von Morden, die die Siedlung in den Ausnahmezustand versetzt haben. Im „Wassermann“ haben sie sich die Meldungen vorgelesen: „Der 61-jährige Mieter Jürgen Schulz und der wohnungslose Fritz Papiest (50) waren durch „massive Gewalt gegen Kopf und Hals“ – so das Obduktionsergebnis – getötet worden. Sie sollen erstochen worden sein, dem Vernehmen nach mit einer Schere. Am Sonnabend fiel Kripobeamten bei den üblichen Ermittlungen in einem Nachbarhaus Verwesungsgeruch auf. Die Wohnungstür wurde geöffnet, dahinter lag die Leiche des 35-jährigen Mieters Maik Seehaus. Er soll bereits vor etwa drei Wochen ermordet worden sein, die Todesursache sei ähnlich.“
Der Jähzorn des Täters war bekannt
Schrecken im Kiez, dann verhaftete die Polizei einen 25-jährigen psychisch verwirrten Mann, dessen Vater in der Straße wohnt, und der für seine Unbeherrschtheit bekannt war. Der Spuk hatte ein Ende.
Auf dem Platz vor dem Eingang zur U7 beginnt ein weiterer heißer Tag. Männer in Blaumännern schlurfen zur Rolltreppe, Sekretärinnen in luftigen Röckchen stöckeln treppab auf dem Weg ins Büro.
Im „Bierseidel“ steht einer und sagt: „Mit dem Fritz und dem Jürgen habe ich oft einen getrunken. Die waren immer freundlich. Haben sich wohl gedacht, dass ihnen keiner was tut, wenn sie keinem was tun. Da haben sie sich dann wohl getäuscht. Ich hab’ gelesen, der hat sie wegen Geld umgebracht. Was für’n Geld, frag’ ich da. Die hatten selbst nix. Naja, nu sinse tot. Nu hamse’s hinter sich.“
14.07.2010 dv