Berlin (dv) Vor dem Landgericht Neuruppin gab es in dieser Woche ungewöhnlich lautstarke Szenen. Angeklagt ist dort der 36-jährige Reinhard R. Totschlag“ heißt der Vorwurf – und in den Medien wird schon die Vokabel „eiskalt“ verbreitet. Das soll die Verfassung gewesen sein, in der R. achtmal auf einen Kleinkriminellen schoss. Der 26-Jährige starb an seinen Verletzungen. Am ersten Verhandlungstag ließ der Angeklagte erklären: „Der Einsatz endete tragisch. Ich bedaure dies zutiefst. Das ist eine große Belastung für mich.“ Und zur Erklärung für seinen Blackout gab er an: „Der Einsatz war eine gewaltige Gefahr für Leib und Leben für meine Kollegen und mich.“
Da rasteten im Gerichtssaal einige Zuhörer dermaßen aus, dass der Richter drauf und dran war, sie nach draußen zu schicken.
Der Fall in Neuruppin: Wieder mal ein Beleg dafür, dass einige Polizisten den Finger viel zu schnell am Abzug haben? Die Verteter dieser These bringen sich dieser Tage in Formation. Denn am 20. Mai wird in Neuruppin das nächste Mal verhandelt – da kann man in Sachen Polemik nachlegen.
Die Realität freilich sieht viel beruhigender aus. Gestern sind die Zahlen durchgesickert, die der Innenministerkonferenz vorliegen. Und da ist – trotz wachsender Gewaltbereitschaft gegen Polizisten – ein Beleg dafür, dass die Beamten gut geschult sind, mit Stress-Situationen umzugehen.
Die Zahl der Fälle, in denen Polizisten im Ernstfall Warnschüsse abfeuerten, sank mit 51 im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit zwölf Jahren. 2009 mussten Polizisten in 33 Fällen direkt auf Menschen schießen. Dabei gab es sechs Tote. Verletzt wurden sechs Menschen – nur in den Jahren 2006 und 2008 hatte es mit 15 Fällen noch weniger Verletzte gegeben. Der Höchstwert stammt aus 1998, als Polizeikugeln 42 Menschen verletzten.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, kommentiert die neuen Zahlen folgendermaßen: «Wer vielleicht erwartet hatte, dass Polizisten häufiger schießen, muss sich eines Besseren belehren lassen, das Gegenteil ist der Fall. Obwohl unsere Kolleginnen und Kollegen immer größeren Gefahren ausgesetzt sind, reagieren sie ausgesprochen umsichtig und alles andere als schießwütig».
Wendt weiter: «Angesichts dramatischer Gewaltexzesse haben wir sehr niedrige Zahlen, was den Gebrauch der Schusswaffe angeht. Im Einsatz versuchen die Beamtinnen und Beamten vielmehr, die gefährlichen Situationen durch kommunikatives und deeskalierendes Verhalten zu meistern, und dies gelingt meistens auch.»
„Eiskalt“ ist das Gegenteil.
06.05.2010 dv
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