Berlin (dapd). Doping ist längst ein Massenphänomen. Das zeigt ein gerade bekannt gewordener Fall aus Mittelhessen, bei dem Zollfahnder das bislang größte illegale Lager aushoben, in dem sich rund fünf Millionen Ampullen und Tabletten befanden, Marktwert rund zehn Millionen Euro. Und obwohl Doping- und Arzneimittelkonsum im Breitensport inzwischen gang und gäbe ist, regen sich über Doping im Spitzensport nicht selten dieselben Menschen auf, die bei ihrem eigenen Freizeitsport mit erlaubten und nicht erlaubten Mitteln nachhelfen.
Ayhan S., 25, (Name und Alter geändert) bekommt seine Dopingsubstanzen von Bekannten in seinem Fitnessstudio. Mit Bodybuilding, sagt er, hat er nichts zu tun, er spielt Fußball, Kreisliga B, irgendwo in Südhessen. Beim Fitness-Training habe ihm jemand gesagt, dass man mit Ephedrin leistungsfähiger sei. Er habe es ausprobiert und viel besser gespielt.
Ayhan S. ist einer von vermutlich weit über einer Million Freizeitsportlern in Deutschland, die regelmäßig oder gelegentlich mit Doping nachhelfen. Nicht nur mit Anabolika und Wachstumshormonen in der Muckibude, auch mit Amphetaminen beim Triathlon, hoch dosierten Schmerzmitteln vor dem Volks-Marathon oder Radrennen. Bis hin zum Ritalin, gar Kokain bei Bundesliga-Schachspielern.
Fitnessstudios haben Verteilerfunktion
Alles belegte Fälle, unter anderem dokumentiert in anonymisierten Interviews des Sportwissenschaftlers Mischa Kläber von der TU Darmstadt. Kläber hat über 80 Interviews mit Dopingkonsumenten und Nichtkonsumenten, Ärzten, Trainern geführt. Sein Fazit: «Fitnessstudios sind die Basis für die gesamte Dopingszene, und Bodybuilder haben dort eine Verteilerfunktion.» Dort würden immer wieder gezielt Sportler angesprochen, die ihre Leistung schon ausgereizt haben oder mit weniger Trainingsaufwand Erfolge erzielen wollen.
Diese Erfahrung bestätigt auch der österreichische Dopingfahnder Andreas Holzer: «16-Jährige in Studios werden beim Training gefragt: ‚Willst du das gescheit machen oder so bleiben?’»
Holzer gehört zu der deutsch-österreichischen Ermittlergruppe, der im vergangenen Herbst nach jahrelanger Fahndungsarbeit ein großer Schlag gegen ein Doping-Netzwerk mit Hintermännern in beiden Ländern gelang. Er hat bei der Befragung von Zeugen und Tatverdächtigen die unterschiedlichsten Motive für den Dopingkonsum zu hören bekommen.
Eine Erkenntnis lautet: «Wir haben in unserer Gesellschaft inzwischen ein anderes Körperbild, auch bei Jugendlichen. Vor allem wollen viele einen Körper ohne Fettmasse, gleichzeitig aber nicht ihren Lebenswandel ändern, zu dem etwa auch Fast Food gehört. Also essen sie Burger, Pommes und Cola und nehmen zusätzlich typische Dopingpräparate, fettabbauende Stoffe wie Amphetamine oder Ephedrin ein.»
Skrupellose Ärzte
Auch Sport treibende Jugendliche und Kinder kommen ganz unmerklich mit Doping oder den Vorstufen in Berührung: «Im Schwimmbereich nehmen schon Zehnjährige mit Billigung oder Unterstützung der Eltern zum Beispiel koffeinhaltige Getränke oder Drops zu sich», berichtet ein Szenekundiger, der seinen Namen nicht genannt haben möchte. Das Problem sei dabei, dass viele solch ein Verhalten gar nicht als Doping empfänden, die Übergänge seien schleichend.
Der Sportwissenschaftler Kläber spricht von einer «Grauzone»: «Wo fängt Doping an? Schon bei Nahrungsergänzungsmitteln wie Eiweißriegeln oder Vitamintabletten? Oder bei der Einnahme von Creatin? Oder erst bei anabolen Steroiden oder Wachstumshormonen?» Die meisten Doper fingen mit ein paar Tabletten an, spätestens aber, wenn sich jemand Vitamine als Spritze verabreichen lasse, sei eine Grenze überschritten. «Und fast alle sagen, dass sie sich anfangs nie hätten vorstellen können, zu dopen.»
Allgemeinheit zahlt für die Folgeschäden
Nach den gesundheitlichen Risiken fragen die Wenigsten. Andreas Holzer kennt durch seine Arbeit allein 15 Kraftsportler, denen nach jahrelangem Anabolikamissbrauch weibliche Brüste gewachsen waren, die operativ entfernt werden mussten. Mediziner sprechen von Gynäkomastie, in der Szene wird weniger sensibel über «bitch-tits» gelästert. Depressionen und Leberschäden bis hin zu Krebs seien weitere typische gesundheitliche Folgeschäden, die erst nach Jahren oder Jahrzehnten sichtbar werden, warnen Sportmediziner. Die Kosten tragen andere mit.
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06.02.2011 dv