Big Brother from Troja

Großer Wirbel und Besorgnis wegen einer gehackten Überwachungssoftware

Berlin (dv/dapd). Dem Chaos Computerclub (CCC) ist es gelungen, staatliche Überwachungssoftware zu knacken. Die Computerexperten werfen den Sicherheitsbehörden nun vor, ihre Befugnisse weit überschritten zu haben. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) reagierte beunruhigt auf die Enthüllungen. Nach Angaben des Innenministeriums nutzt der Bund die Software allerdings nicht.

Der Chaos Computer Club hatte zuvor ein staatliches Überwachungsprogramm analysiert und war zu dem Schluss gekommen, dass die Trojaner nicht nur höchst intime Daten ausspionieren können, sondern zudem erhebliche Sicherheitslücken aufwiesen. Eigenen Angaben zufolge wurden dem Verein Festplatten von Betroffenen zugespielt, die infiziert waren.

Das fragliche Programm wird von den Sicherheitsbehörden unter anderem zur sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) genutzt
Dabei dringen Ermittler zum Beispiel in Rechner von Verdächtigen ein, um die Verschlüsselung von Gesprächen mithilfe von Programmen wie Skype zu umgehen. Sie darf allerdings nur eingesetzt werden, «wenn sich die Überwachung ausschließlich auf Daten aus einem laufenden Telekommunikationsvorgang beschränkt», wie es in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008 zur Online-Durchsuchung heißt.

Großer Lausch- und Spähangriff“
In seiner Analyse weist der CCC allerdings Funktionen nach, «die über das Abhören von Kommunikation weit hinausgehen und die expliziten Vorgaben des Verfassungsgerichtes verletzen». Die Computerexperten beklagen einen expliziten «digitalen großen Lausch- und Spähangriff», indem ferngesteuert auf das Mikrofon, die Kamera und die Tastatur des Computers zugegriffen werde. Die Ermittlungsbehörden schreckten nicht «vor einer eklatanten Überschreitung des rechtlichen Rahmens zurück».

Das Bundesinnenministerium wies eine Verantwortung von sich. Das Bundeskriminalamt habe diesen vom Computerclub analysierten Trojaner nicht eingesetzt, teilte ein Sprecher des Ministeriums am Sonntag in Berlin mit. «Was auch immer der CCC untersucht hat oder zugespielt bekommen haben mag, es handelt sich dabei nicht um einen sogenannten Bundestrojaner», fügte er hinzu. Im übrigen seien die zuständigen Justiz- und Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder jeweils eigenständig für die Einhaltung technischer und rechtlicher Vorgaben verantwortlich.

Skeptisch äußerte sich hingegen die Justizministerin. Leutheusser-Schnarrenberger erinnerte an die Argumente der Beschwerdeführer in der Klage gegen die Online-Durchsuchung und wertete die nun bekannt gewordenen Fakten als Bestätigung der damals vorgebrachten Bedenken. Sie verwies zugleich auf den Koalitionsvertrag, in dem sich Union und FDP darauf verständigt hatten, «dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung künftig besser gesetzgeberisch abgesichert wird». Dieses Vorhaben müsse die schwarz-gelbe Koalition jetzt anpacken.

Unter anderem ist es die verhaltene Reaktion der sehr oft gut informierten Ministerin darauf hin, dass in der Angelegenheit des vom CCC untersuchten Trojaners noch lange nicht das letzte Wort gesprochen ist.

„Digitales Ungeziefer“
Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ beschäftigt sich mit dem „Code des Staatstrojaners“ auf sechs Seiten. Titel: „Anatomie eines digitalen Ungeziefers“. Weiter ist in dem bemerkenswerten Beitrag von Frank Rieger zu lesen: „Hacker haben die Überwachungssoftware gefunden, analysiert – und gehackt. Das Ergebnis ist erschreckend. Der Trojaner kann unsere Gedanken lesen und unsere Computer fernsteuern.“

Foto: Gerd Altmann / pixelio.de

10.10.2011 dv / wel