Berlin (dpa). Es geht um das große Geschäft – zu holen im Rotlichtmilieu, Drogenhandel oder beim Schutzgeld. Kriminelle Großfamilien machen Polizei und Justiz in der Hauptstadt seit langem zu schaffen. Die sichtbaren Zeichen dieser abgeschottet lebenden Clans sind bedrohlich: Männer pöbeln dreist und offen im Gericht, in manchen der Hauptstadt wird die Polizei umringt oder abgedrängt.
Nach einem Bericht des Magazins «Stern» über Rapper Bushido wird viel über kriminelle Clans in Berlin debattiert. Die zentrale Frage ist: Wie können die Parallelstrukturen bekämpft werden?
Innensenator Frank Henkel (CDU) will «alle Register ziehen» – gemeinsam mit Justiz, Gewerbeaufsicht, Ausländerbehörde und Steuerfahndung. Er spricht von mafiösen Teilstrukturen innerhalb dieser Clans und dunklen Wirtschaftsimperien. «Sie sind in nahezu allen Bereichen tätig, die Geld bringen.» Auch in Niedersachsen sprechen Ermittler von einem flächendeckenden Problem mit Familienclans, die Streitigkeiten intern mit sogenannten Friedensrichtern regeln.
Das Auftreten einzelner Clanmitglieder zeige, dass sie den Staat nicht respektierten. «Sie haben ihre eigenen Parallelstrukturen. Das können wir uns nicht gefallen lassen», zeigt sich der CDU-Senator Henkel entschlossen.
Drohungen gegen Unbeteiligte
Einige aus diesen arabischstämmigen Großfamilien sind
gerichtsbekannt. Raub, gefährliche Körperverletzung, Eingriff in den Straßenverkehr, Bedrohung sind nur einige der Delikte. Zu den Prozessen bringen die Angeklagten oft Unterstützer mit. Zuletzt wurden zwei Männer zu Bewährungsstrafen verurteilt. Einer soll sein Auto als Waffe eingesetzt haben. Doch das sind nicht die großen Fälle.
Als im Vorjahr einem solchen Trupp eine TV-Kamera nicht passte, flog ein mit Wasser gefüllter Papierkorb durch den Gerichtsflur. «Hast Du Kinder?» wurde der Reporter mit drohendem Unterton gefragt. Von mehreren Gerichts Wachtmeistern schritt nur einer ein. Die Konsequenz im Gericht: Die Papierkörbe wurden fest montiert.
Die Bekämpfung der kriminellen Rockerszene – die in ähnlichen Bereichen agiere – sei erfolgreich, weil viele Ermittler konzentriert wurden. «Auch die Clans sollten sich darauf einstellen, dass wir sie im Blick haben und unsere Maßnahmen jederzeit anpassen können», sagt der Innensenator.
Überraschungseffekt wird gezielt genutzt
Polizisten haben schon erlebt, dass sie bei Einsätzen abgedrängt wurden. Innerhalb weniger Minuten wurden sie von dutzenden jungen Männern umringt, die ihre Kumpel dann «raushauen» und die Festnahme verhindern. «Wir haben nicht überall 30 oder 40 Polizisten, die schnell mal zu einer solchen eskalierenden Situation fahren können», sagt Polizeipräsident Klaus Kandt. Das Unvorhergesehene macht es schwierig. «Da, wo wir planen, sind wir immer stärker.»
Grünen-Abgeordneter Benedikt Lux bringt es auf den Punkt: «Je größer die Gruppe und je verschworener die Angehörigen, desto schwieriger ist polizeiliches Eingreifen.» Eine Bedrohung des friedlichen Klimas in der Stadt könne aber nicht geduldet werden. Nach seiner Einschätzung geht es um sechs Großfamilien mit Schwerpunkten in Wedding, Moabit, Neukölln-Nord, Kreuzberg Süd-Ost und Schöneberg-Nord.
Strategien unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) sagt, den Provokationen dieser Großfamilien müsse entgegen gesteuert werden. Ein Patentrezept gebe es nicht. Mit Polizei und Staatsanwaltschaft werde an Verbesserungen gearbeitet. Strategien würden jedoch nicht öffentlich erklärt. «Denn die Familien hören aufmerksam mit.»
Der Berliner Landeschef des Bundes deutscher Kriminalbeamter, Michael Böhl, forderte in der «Berliner Zeitung» eine spezielle Ermittlungsgruppe. Sie sollte Delikte organisierter Kriminalität wie Rotlichtstraftaten oder Steuerhinterziehung gebündelt verfolgen.
Die Staatsanwaltschaft nennt als Ermittlungskriterien für organisierte Kriminalität allgemein: Verdacht auf Agieren im Rotlichtmilieu, Aufbau hierarchischer Strukturen, unklare Vermögenswerte, Verbindungen zu Politik und Prominenz und Verdacht auf Verbreiten eines Klimas der Angst.
Kein neues Problem
Schon die bundesweit bekannte Jugendrichterin Kirsten Heisig, die sich 2010 das Leben nahm, hatte auf das Problem aufmerksam gemacht. In ihrem Buch «Das Ende der Geduld» schrieb sie von bundesweit zehn bis zwölf arabischen Großfamilien mit einigen Tausend Menschen. Sie konzentrierten sich auf Berlin, Bremen, Bremerhaven und das Ruhrgebiet.
Einige Clans, die es auf Hunderte Ermittlungsverfahren brächten, lebten ausschließlich nach ihren Gesetzen, die männlichen Mitglieder seien massiv gewaltbereit. «Wer die eigenen Leute an die Deutschen verrät, riskiert sein Leben», schrieb die Richterin.
29.04.2013 Ta