Eine alte, aber renovierte US-Kaserne im neuen Wiesbadener Europaviertel. Nach dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte zogen einige Abteilungen des Bundeskriminalamts hier ein – auch die „Zentralstelle Kinderpornografie“. Die Mitarbeiter führen einen erbitterten Kampf gegen Produzenten und Konsumenten der Kinderpornos. Kein Job für schwache Nerven. Wer nach Dienstschluss nicht abschalten kann, sollte sich nicht dorthin versetzen lassen. „Jeder, der hier arbeitet, ist freiwillig hier“, betont Kriminaloberrat Jürgen Peter, stellvertretender Referatsleiter. Die meisten haben Familie, einige Kinder im gleichen Alter wie die unbekannten Jungen und Mädchen, die sie auf Pornoabbildungen täglich zu sehen bekommen.
„Pädophil“ ist falsch
Die Opfer – so die Erkenntnis der Internet-Fahnder – werden immer jünger. Unvorstellbar: Selbst Kinder im Säuglingsalter werden von skrupellosen Kinderschändern sexuell misshandelt. Wer an Kinderpornografie Spaß hat, kann nicht als „Kinderliebhaber“ (deutsche Bezeichnung für „Pädophiler“) bezeichnet werden. Längst hat sich unter Kriminalisten ein anderer, zutreffenderer, härter klingender Begriff durchgesetzt: „Pädosexueller“.
Die Produzenten und Anbieter der Pornofotos im World Wide Web sind im typischen User-Alter. Der jüngste, den die Fahnder aufspürten, war gerade mal zwölf. Auf seiner Homepage bot er einschlägige Kinderfotos zum Tausch an und besserte nebenbei mit Werbebannern sein Taschengeld auf.
Auf Streife im Web
Die Vielzahl spektakulärer Fahndungserfolge der letzten Zeit, die groß angelegten Durchsuchungsaktionen, bei denen Computer voll mit Porno-Dateien sichergestellt werden, erwecken mitunter den Eindruck, als gäbe es Kinderpornografie erst seit der privaten Nutzung des Internets. Dem ist selbstverständlich nicht so. Kinderpornografie ist älter als die Camera obscura. Doch moderne Verbreitungsmittel – zuerst der Buchdruck, dann Foto, Film, Video, CD und letztlich auch das Internet – haben für ein immer größer werdendes Absatzgebiet gesorgt. Angebot und Nachfrage sind riesig. Bilddateien haben die Heftchen vom Markt verdrängt. Die Ladentheke, unter dem früher die meist aus Skandinavien stammenden Kinderpornohefte verkauft wurden, hat sich inzwischen zum riesigen internationalen Marktplatz entwickelt.
Hier kennen sich die zwölf Beamten der Abteilung für „Anlass-unabhängige Recherchen“ inzwischen bestens aus. Im Schichtbetrieb gehen sie dort auf Streife, täglich – auch am Wochenende. Sie klopfen Internetseiten und so genannte Newsgroups nach illegalen Angeboten ab. Anfangs wurden dort einschlägige Fotos eher getauscht als gehandelt. Doch jetzt stecken massive finanzielle Interessen hinter den unzähligen Angeboten. Jährlicher Umsatz: schätzungsweise fünf Milliarden Euro.
Er wird erreicht durch den Vertrieb von CDs, Videos und auch durch die Freischaltung von Porno-Webseiten. Bezahlt wird mit Kreditkarte. Entsprechende Angebote finden sich in Newsgroups, in Chats und neuerdings im so genannten IRC (Internet Relay Chat), dem Kommunikationssystem für „geschlossene Gruppen“. Da Kinderpornografie inzwischen weltweit geächtet und verfolgt wird, agieren Anbieter und Interessenten weitgehend im Verborgenen. Es gehört schon einige Erfahrung dazu, in diese Kreise vorzudringen und Informationen zu sammeln, die auf die Spur der Kinderschänder führen.
Detektivische Kleinarbeit
Oft sind es ganze Fotoserien, auf die die „Web-Rechercheure“ nach und nach stoßen. Sie geben sie an ihre Kollegen weiter, die in detektivischer Kleinarbeit die „Bildinformationen“ auswerten. Kardinalfrage: Wo und wann sind die Aufnahmen entstanden? Die Antwort steckt im Detail. Auf jedem Foto gibt es Informationen, die weiterführen. Erstaunlich ist, dass viele Fotos eigentlich schon „antiquarisch“ sind. Eingescannt aus Pornoheften der 50er, 60er oder 70er Jahre.
Die meisten der einschlägigen Bilder stammen aus den USA. Doch weltweit bedienen sich die Kunden. Sie bedenken dabei oft nicht, dass jeder User mehr oder weniger deutliche Spuren im Internet hinterlässt. Die Chance für die Fahnder. Fliegt ein Händler auf, hat das weit reichende Folgen: Die Kunden, die sich die Fotos auf den heimischen Computer geladen haben, werden mit einiger Sicherheit demnächst Besuch von der Polizei bekommen – ob sie nun in den USA, in Asien oder Europa wohnen.
Internationaler Informationsaustausch
Sobald es den Fahndern des BKA gelungen ist, die Herkunft der Fotos zu klären, geben sie den Vorgang an die zuständige Kriminalpolizei für weitere Ermittlungen vor Ort weiter. Oder die Erkenntnisse werden an die entsprechenden ausländischen Polizeibehörden abgegeben. Im Gegenzug bekommt das BKA Informationen aus dem Ausland, wenn Internet-Spuren nach Deutschland weisen.
Immer öfter kommt es dann zu bundesweiten Durchsuchungsaktionen. Gezielt wird nach Datenträgern gesucht, auf denen sich Kinderpornografie befindet. Kisten und Regale voller Videokassetten lagern inzwischen in der Asservatenkammer der Zentralstelle. Angesichts der Flut moderner Bilddateien, die im World Wide Web verschoben und getauscht werden, mutet der Inhalt des verschlossenen „Giftschranks“ auf dem Flur der BKA-Abteilung schon fast nostalgisch an: alte Kinderpornohefte, zum Teil noch schwarz-weiß. Noch heute begehrte, brutale Sammelobjekte, wie die Fahnder bei ihren Web-Streifzügen immer wieder feststellen. Genauso wie die alten professionell hergestellten Super 8-Filme in den grellbunten Schachteln mit beziehungsreichen Titeln wie „Sexy Lolita“.
Fotos: Rüdiger Wellnitz
20.03.2003 wel