Kiel (dapd-nrd). Die Stimmung im Saal 232 des Kieler Landgerichts ist deutlich angespannt, als die Anklage gegen den Maurer Hans-Peter S. verlesen wird. Der 65-Jährige verfolgt regungslos wie Staatsanwalt Matthias Daxenberger die fünf grausamen Morde an jungen Frauen im Norden Hamburgs und in der Hansestadt selbst auflistet, der erste Fall liegt mehr als 42 Jahre zurück. Daxenberger spricht von Störung der Totenruhe, Vergewaltigung und Erwürgen mit bloßen Händen. Die Nebenkläger – Angehörige der Opfer – scheinen Masken aus Gips zu tragen.
Der groß gewachsene Abrissarbeiter verschränkt seine Arme vor dem stämmigen Körper, sein Blick zu Boden gerichtet. Sein graumelierter Vollbart ist sauber geputzt. Als Details der Sexualstraftaten präzisiert werden, schaut er kurz betroffen. Es ist der Blick eines gebrochenen Mannes. Als vom Erwürgen die Rede ist, geht sein Blick auf die großen Hände.
Beim ersten Mord ist der gelernte Maurer 23 Jahre alt und arbeitet als Bauhelfer in Abrissfirmen. Bei Frauen hat er keinen Erfolg und erntet nur Spott und Zurückweisung. Seit Wochen schleicht ein Unbekannter da durch Norderstedt, einer Stadt im nördlichen Hamburger Speckgürtel. Es kommt zu mehreren Sexualdelikten.
Heute ist nicht klar, ob Hans-Peter S. auch dafür verantwortlich ist. Fakt ist, dass er am 20. Juli 1969 die 22-jährige Jutta M. von hinten anfällt, erwürgt und sich anschließend an der Leiche vergeht. Nach ähnlichem Muster schlägt er noch drei Mal bis 1973 zu. Immer – so gibt er in seinen Vernehmungen zu Protokoll – seien die Taten spontan gewesen. Immer sei er erregt gewesen und habe die Kontrolle verloren“, sei „durchgedreht“.
Zur Sache selbst lässt sich der Handwerker vor Gericht nicht ein. Stattdessen verliest sein Verteidiger eine Erklärung, in der sich der Angeklagte bei den Hinterbliebenen für das von ihm zugefügte Leid entschuldigt. „Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass mein damaliges Verhalten für mich heute unfassbar bleibt“, heißt es darin.
Es ist kein solides Leben, das der Vorsitzende Richter Jörg Brommann mit Aktenhilfe und den dürren Antworten des Angeklagten zusammenreimt. Die Familie trifft es nicht gut im Nachkriegsdeutschland. Der Vater muss als Selbstständiger zweimal zahlungsunfähig aufgeben. Hans-Peter S. bleibt in der Grundschule sitzen und verlässt die Hauptschule nach acht Jahren mit einem Halbzeugnis. Der Lehrbetrieb geht ebenfalls pleite. Die Aufzählung der Arbeitgeber braucht fast eine halbe Stunde. Kaum ein Arbeitsverhältnis dauerte länger als ein halbes Jahr.
Während später ein Polizist über die Vernehmungen des Mannes nach dessen Festnahme im April berichtet, sitzt Hans-Peter S. ruhig und gefasst wie ein Märchenerzähler mit goldberänderter Lesebrille auf der Anklagebank. In den Akten wird er dagegen als triebhafter Mensch beschrieben. Neben seiner Ehe hatte er Affären. Eine davon will die Verteidigung in den Zeugenstand laden. Nach seiner Scheidung Ende der 1980er Jahre verfiel er der Spielsucht. Er verlor 120.000 Mark beim Zocken und hatte Spielbankverbot.
Seine Frau ließ sich 1989 scheiden. Zuletzt lebte der Mann gemeinsam mit seiner Mutter in Henstedt-Ulzburg. Der Angeklagte ist geständig, der Prozess des Schwurgerichtes nur auf sieben Verhandlungstage angesetzt. Der Verteidiger von Hans-Peter S. weiß, dass es ihm nur darum gehen kann, eine mögliche Sicherungsverwahrung für seinen Mandanten abzuwenden.
Immerhin bescheinigt der Gutachter ihm, dass er frei von sexuellen Störungen im engeren Sinne sei. Wenn der Angeklagte dort so sitzt, sieht er aus wie ein Mensch, der schließlich von seiner Vergangenheit eingeholt und überrollt wurde.
22.12.2011 Ta
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