Berlin (dv). Das Delikt ist „Diebstahl“, die Anzeige hat die Vorgangsnummer 036376. Aufgenommen wurde sie von einem beeindruckten Wachtmeister am 16. Mai 2012 um 14.45 Uhr. „Ick vasteh Sie“, sagte der Herr in Uniform, nachdem er das Schriftliche erledigt hatte. „Da hängt schließlich Ihr Herz dran. So wat stiehlt man doch nich einfach so.“
Sprach’s, nahm das sicher gestellte Corpus Delicti unter den Arm und kehrte zurück aufs Revier in der Moritzstraße.
Die beiden älteren Damen sahen ihm nach. Dann marschierten sie über den Spandauer Friedhof von der Stätte des Frevels wieder zu „ihrem“ Grab. Sehr zufrieden waren sie. Endlich würde Gerechtigkeit walten. Gerechtigkeit für ihren Knut und ihren Thomas Dörflein. Gerechtigkeit auch für sie.
Aber der Reihe nach.
Alles begann am 13. Februar. Für den Valentinstag wollten Helga König und Karin Gude-Kohl das Grab von Thomas Dörflein, dem geliebten Pfleger des noch geliebteren Eisbären Knut, pflegen, einen Bund roter Rosen in die Vase der langen grauen Stele stecken und drunter ein neues ewiges Licht anzünden.
Der Atem stockte ihnen, als sie an der letzten Ruhestätte eintrafen. Die Stele war weg. Mit brachialer Gewalt aus den drei Schraubengewinden gebrochen. Fassungslos standen Karin und Helga vor dem Tatort. Sie besorgten eine Vase für die Rosen und kehrten mit einem fürchterlichen Gefühl zurück in die Stadt, Frau König nach Charlottenburg, Frau Gude-Kohl nach Britz.
Doch gerade Karin Gude-Kohl mutiert zur Löwin, wenn es Knut und Thomas zu schützen gilt. Nachdem der erste Schrecken vorüber war, machte sie sich auf die Suche. Und die Miss Marple von Britz wurde schließlich fündig: Der Spandauer Steinmetz, der die Stele im Auftrag einer Schweizer Freundin von Thomas Dörflein gefertigt hatte, hatte das Diebesgut entdeckt. Es befand sich – soviel konnte Frau Gude-Kohl aus ihm heraus quetschen – in Abteilung 47 des Friedhofs „In den Kisseln“.
Vom Trödel oder geklaut?
Also fahndete Karin in Abteilung 47. Reihe für Reihe ging sie die Gräber ab. Und wurde fündig. Da stand sie, die Stele – und das war sie. Auf dem Stein war zu lesen „Für Mutti“. Kein Name, aber den brauchte Karin nicht. Sie hatte heraus gefunden, dass die Angehörigen von „Mutti“ die Stele angeblich auf einem Trödelmarkt gekauft haben wollen.
Karin Gude-Kohl rief in der Moritzstraße an und erklärte, sie wolle Anzeige erstatten. Man vereinbarte, dass ein Beamter sich am 16. gegen zwei am Grab des Thomas Dörflein einfinden werde.
Er kam denn auch. Stattlicher Mann mit Brille und dem Gesicht eines Polizisten, der schon vieles gesehen hat.
„Also, die Damen, erzähln’Se mal.“
Karin und Helga redeten gleichzeitig.
„Nu ma langsam. Eine nach der Anderen.“
Helga ging zur Seite, um eine zu rauchen. Karin erzählte. Alles. „Is das nich schlimm, Herr Wachtmeister?“, fragte sie zum Schluss. „Das is doch ’n janz üblet Vabrechn.“
So ganz überzeugt war der Herr Wachtmeister nicht. Sie mögen ihm doch das andere Grab zeigen, meinte er streng. Das, auf dem das vermeintliche Diebesgut stünde.
Logisch, sagten die Damen. Man ging zur Abteilung 47, keine Minute dauerte das. Und da war sie, die Stele von Thomas (und mithin auch Knut).
Der Herr Wachtmeister war nun doch ein wenig verblüfft. Telefonierte mit der Moritzstraße. Ja, war der Bescheid, er durfte aktiv werden. Also zog er die Stele aus dem humosen Boden. Begutachtete die Unterseite.
Und stellte fest: Die Abbruchstellen passten haargenau zu den Schraubenresten an Dörfleins Grab. Kein Zweifel, das war die Stehl-Stele.
Es war 14.35 Uhr. Zehn Minuten später gab es die Anzeige Schwarz auf Weiß. Vorgangsnummer 036376.
Der Herr Wachtmeister bezeugte der Britzer Miss Marple und ihrer Freundin seinen Respekt und brachte das Diebesgut aufs Revier.
Und die Damen? Tja, die hätten jetzt gern ’n Piccolöchen dabei gehabt. Das war doch mal ein Grund zum Feiern, oder?
19.05.2012 dv