Westerland/Sylt (Detlef Vetten). Die Kriminalpsychologin Prof. Dr. Sabine Nowara hat für das NRW-Familienministerium eine Studie über minderjährige Sexualtäter erstellt. Danach hat sich die Gruppe der Acht- bis Dreizehnjährigen zwischen 1987 und 2006 mehr als verdoppelt. Aber die Expertin hält es für durchaus möglich, dass dies nur daran liegt, „dass wir heute ein anderes Augenmerk auf diese Fälle haben”.
Das sind nicht gleich Täter“
Auch Ursula Enders, Leiterin von Zartbitter Köln, Autorin von Fach- und Kinderbüchern und Referentin in Weiterbildungen zu den Schwerpunkten Krisenmanagement und Aufarbeitung bei sexueller Ausbeutung durch professionelle Helfer/Helferinnen, appelliert an ruhige Vernunft: „Wir bezeichnen übergriffige Kinder nicht als Täter. Das sind keine angehenden Sexualstraftäter. 90 Prozent hören sehr schnell wieder damit auf, wenn man ihnen hilft.” Auch sei es falsch, immer die Eltern zu beschuldigen: „Das Verhalten hat häufig mit anderen, älteren Kindern zu tun.”
Der Kinderpsychologe Wolfgang Bergmann wiederum sagt im Tagesspiegel, gerade jüngere Kinder würden alters-untypische Vorfälle gut verkraften, wenn sie in intakten Verhältnissen leben: „In diesem Fall haben die Eltern ihre Schutzfunktion, die für das Kind extrem wichtig ist, erfüllt.“ Bergmann warnt jedoch davor, entsprechende Erlebnisse der Kinder zu bagatellisieren oder tabuisieren: „So etwas muss aufgearbeitet werden, schon deshalb weil unsere Kinder in einer extrem sexualisierten Medienwelt aufwachsen.“
Ministergattin als Warnerin
Ins gleiche Horn stößt auch Stephanie zu Guttenberg, die Gattin des Verteidigungsministers. Gerade hat sie mit großem Ballyhoo ihren schriftlichen Beitrag zum Thema unter die Bürger gebracht. „Schaut nicht weg“ heißt das betulich formulierte und nicht sonderlich inspiriert recherchierte Werk. „Es ist“, so die Ministergattin, „kein dicker Wälzer, durch den man sich durchkämpfen muss. Aber je mehr man über das Thema weiß, desto höher sind die Chancen, dass man den Tätern einen Schritt voraus sein kann und die Kinder stark macht.“
Ehrenwert gedacht – und dennoch bleibt das Gefühl, Stephanie zu Guttenberg sei ein wenig zu weit von der Basis entfernt. Sie macht einen Großteil des Übels in den kurzen Röcken von Britney Spears und anderen Stars und in den düsteren Nischen des Internets aus.
Die meisten Kids wissen, was sie tun
Vielleicht sollte man da den Kindern etwas mehr Urteilskraft zutrauen. Da gibt es zum Beispiel ein Doktorspiel, das man sich als Freeware auf den Computer laden kann. Muss wohl eine super Sache sein, wenn man dem Vertreiber glaubt. Der tönt: „Operiert den Patienten trotz Eurer Betrunkenheit mit einer ruhigen Hand und verdient Euch als Belohnung wilde Doktorspielchen mit der heißen Krankenschwester.“
Uihh, wie geil, sagt man sich auf Neudeutsch. Stöbert weiter im Netz – und wird schließlich fündig. Es gibt schon Kids, die das Doktorspiel getestet haben. Deren Urteil ist einstimmig: Gott, ist dieses Game fad. Die Graphik kann mieser nicht sein, die Bilder ruckeln, die Aufgaben entbehren jeder Logik. Spannung? Fehlanzeige! Spielspaß? Null! Erotik? Zum Gähnen! Ab in den Papierkorb!
Soviel zu unseren verlotterten Kindern. Es wird Zeit, dass bei Vorgängen wie dem in Sylt wieder etwas sorgsamer mit den Begriffen „Skandal“, „Tätrer“, „Strafe“ oder „Verbrechen“ umgegangen wird.
Foto: dv
18.09.2010 dv
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